Praxisexkurs

Kurzer Praxisexkurs zur Problematik und der Kostenübernahme

Es wurde bereits ein Projekt zur genauen Beurteilung der Auswirkungen von Lern- und Entwicklungsauffälligkeiten an einer hessischen Haupt- und Realschule durchgeführt, um die aktuellen Bedarfe und Bedürfnisse der Betroffenen und aller Beteiligten zu analysieren. Hierbei zeigte sich, dass ein Großteil der Schüler:innen mit Verhaltensauffälligkeiten gravierend mit den schulischen Anforderungen, durch nicht diagnostizierte bzw. nicht im ausreichenden Maß oder Umfang für die klinischen Diagnosekriterien einer Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten vorhandenen Symptomatik, überfordert sind und / oder die Symptomatik weiterer Entwicklungsstörungen, wie Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung, vorliegt.

Bei den Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, also Lernstörungen, zeigten sich im Projekt im besonderen deutliche Schwächen im Schriftspracherwerb der Kinder. Bei den meisten Kindern funktioniert der Schriftspracherwerb bei angemessener Beschulung nahezu reibungslos und wir erachten es als normal, dass Kinder nach ein paar Schulbesuchsjahren fast fließend lesen und schreiben können. Allerdings handelt es sich beim Schriftspracherwerb um eine der komplexesten Leistungen unseres Gehirns und bei Kindern mit Lernstörungen funktioniert der Erwerb leider nur sehr eingeschränkt. Aber nur wer sich Texte erlesen kann, kann Aufgabenstellungen verstehen und selbstgesteuert und eigenständig sein Leben lang lernen. Lerntherapien, die gezielt an den individuellen Störungsschwerpunkten ansetzen und bereits vorhandene Wissenslücken und Lernrückstände bearbeiten sowie vorbeugende Maßnahmen müssen gänzlich selbst finanziert werden.

Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom, welches sich im Projekt gehäuft in Verbindung mit Problemverhalten zeigte, zählt derzeit weltweit zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter. Nach aktuellen Prävalenzraten sind 5% bis 10% der Kinder von dieser Entwicklungsstörung betroffen, weshalb sie hier stellvertretend für weitere Entwicklungsstörungen aufgeführt wird. Die von den Krankenkassen diesbezüglich übernommenen Medikamente weisen überwiegen erhebliche Nebenwirkungen auf, was viele Eltern abschreckt und die medikamentöse Therapie häufig erst in einem nahezu unerträglichen Ausmaß des Störverhaltens zum Einsatz kommt. Eine Alternative, die durch den höheren Kosten- und Zeitaufwand leider weniger Einsatz findet, jedoch eine hohe Wirksamkeit und Nachhaltigkeit zeigt und kaum Nebenwirkungen aufweist, ist Neurofeedback. Eine Neurofeedbacktherapie wird jedoch nur in äußerst schwerwiegenden Fällen und dann nur anteilig von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst, was bei einem geringen sozioökonomischen Status zum Ausschluss dieser Therapie führt.

Im Allgemeinen gilt, dass zum Erhalt einer Diagnose und des erst damit einhergehenden Anspruchs auf Unterstützung und Therapie sich die Lern- und/oder Entwicklungsstörung bereits in einem klinisch bedeutsamen Erleben– und Verhaltensmuster so äußern muss, dass sich die Erscheinungsform quantitativ als deviant nachweisen lässt und mit einer psychosozialen Beeinträchtigung und subjektivem Leidensdruck einhergeht. Das heißt, dass die betroffenen Kinder bereits in dem Entwicklungsfeld über eine lange Zeitspanne derart beeinträchtigt sein müssen, dass sie mitunter schwerwiegend darunter leiden. Frühzeitige oder sogar präventive Maßnahmen sind nur Selbstzahlern vorbehalten.

Viele der Lern- und/oder Entwicklungsauffälligkeiten sagen nachteilige Verhaltensweisen im Jugend- und Erwachsenenalter vorher und gelten für Verhaltensprobleme als sicherer Prädiktor. Mitunter wird dies durch die Vernachlässigung und Unterlassung von frühzeitiger therapeutischer Hilfe, bis zu traumatischen Lebensqualitätseinschränkungen, verursacht. Die nicht unmittelbar vorhandenen, sondern meist erst daraus resultierenden unangepassten Verhaltensweisen und Problematiken verstärken wiederum die störungsspezifischen Auswirkungen, was zu einer Abwärtsspirale der sich verstärkenden Belastungen aller Beteiligten wird. Auch daher liegt der entwicklungspsychopathologische Schwerpunkt auf der Identifizierung möglicher Schutz- und Risikofaktoren einer förderlichen Entwicklung der Kinder. Das macht eine frühzeitige Intervention und den Einbezug und die Therapie der Familienangehörigen für optimale Therapieresultate unverzichtbar. Allerdings werden all diese förderlichen Maßnahmen nicht oder viel zu spät und nur geringfügig von den gesetzlichen Krankenkassen bezuschusst.


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